Montag, 12. Oktober 2015

Ein verrückter Tag in Prag

Ich weiß wirklich nicht, wo ich anfangen soll zu erzählen. Wirklich. Immer noch bin ich vollkommen perplex. WAS FÜR EIN TAG.

Aber mal ganz von vorne. 

Meine Mitbewohnerin und ich wollten am Samstag Abend eigentlich nur in eine Bar in der Altstadt Prag, um einige Leute zu treffen. Wir nahmen die Tram, um an der Station "Jindřišská" auszusteigen und dann noch ein Stück zu laufen.

Wir stiegen aus und ich fragte meine Mitbewohnerin: "Oh mein Gott. Siehst du das?"

Ich dachte ich sehe nicht richtig, aber als wir näher kamen, erkannte ich blitzartig, dass ich genau richtig gesehen hatte.




Hakenkreuze. Soweit das Auge reicht. Keine aufgesprayten oder gekrakelten. Hakenkreuze auf roten Flaggen, auf metallenen Tafeln, auf den Seitenwänden der Bushaltestellen. Mein erste Gedanke war die Frage, was zum Teufel hier vor sich geht.

Wir näherten uns einer kleinen Menschentraube und ich bekam schnell die Antwort auf meine Frage. Es wurde hier gerade ein Filmset vorbereitet, antwortete mir ein Mann, der gerade dort arbeitete. Sonntag, so sagte er, fänden hier Dreharbeiten für einen Film statt.

Ich schaut mich nun etwas genauer um und entdeckte jetzt auch die mit "Am Graben" überdeckten Strassenschilder., eine alte Litfasssäule, Plakate, die "Die Juden sind unser Unglück" oder "Jude raus" titelten.



Ich beschloss schnell, dass ich am Sonntag unbedingt herkommen und die Dreharbeiten miterleben musste.


Gesagt. Getan. Direkt nach dem Frühstück machte ich mich auf den Weg. Ich stieg in dieselbe Tram, wunderte mich aber schnell, dass sie einen anderen Weg fuhr als gestern. Klar. Das hätte ich mir denken können. Die Tram fuhr aufgrund des aufgebauten Filmsets eine Umleitung, wie mir ein junger Tscheche freundlicherweise die Durchsage des Schaffners übersetzte.

Wir beide stiegen aus. Ich fragte ihn, nach dem Fußweg zur Jindřišská, also zu den Dreharbeiten und er sagte er wolle ebenfalls dort zusehen und fragte lächelnd, ob ich denn die "Zeichen" auch mag. Erst hab ich gedacht ich habe ihn nicht richtig verstanden. Aber er meinte die Hakenkreuze und ich machte ihm natürlich sofort klar, dass ich absolute Gegnerin bin und aus Deutschland komme, historisch daran interessiert bin und Geschichte studiere.

Er antwortete mit nun etwas ernsthafterer Miene: "Oh.". Schnell wurde mir klar, dass hier irgendwas nicht stimmt. Er offenbarte mir sogleich, nach einigen Fragen meinerseits, dass er glaubt, dass es auch "viele gute Seiten" am Nationalsozialismus gab und gibt und dass er nicht an die "Holocaust-Geschichte" glaube.

Ich fiel wirklich aus allen Wolken. Das passiert gerade wirklich? In Prag? 2015?

Im Affekt wusste ich mir nicht anders zu helfen. Ich fing lauthals an, mit ihm zu diskutíeren. Ob er das ernst meine, erklärte ihm, dass der Holocaust das am besten erforschte zeitgeschichtliche Geschehen sei. Darauf antwortete er nur "Die Geschichte wird von den Gewinnern geschrieben." Er konterte mit einigen Personen, die die Opferzahlen und die Einmaligkeig des Holocaust leugnen und verharmlosen. Ich versuchte ihm zu erklären, dass diese Schriften pseudowissenschaftlich seien und von Historikern auf der ganzen Welt widerlegt werden können. Doch er ließ sich nicht abbringen.

Die Passanten schauten mich wirklich verdutzt an, weil ich so laut und verzweifelt versuchte, diesen jungen Tschechen, wie er sagte 21 Jahre alt, wachzurütteln. Er hielt an seiner Meinung, meiner Meinung nach einer klassischen Verschwötungstheorie, fest.

Als ich merkte, dass es nichts mehr bringt, wünschte ich ihm einen Tag, an dem er hoffentlich genauso darüber nachdenken würde wie ich und zog weiter Richtung Filmset, völlig mitgenommen von dem, was mir gerade geschehen ist. Ich sah ihn dort übrigens nicht mehr wieder.





Ich kam an und es bot sich mir ein unfassbares Bild. Mindestens hundert Statisten. Darunter als deutsche Soldaten oder Zivilisten verkleidete Menschen. Männer mit Gewehren und Hakenkreuzabzeichen und Frauen mit Haarwellen und Kleidern aus den 30er Jahren ausgestattet, warteten auf ihren "Einsatz".


Es wurde gerade eine kleine Filmszene in einer Telefonbude gedreht. Ich sah einen Mann, der interviewt wurde und wusste sofort: Der weiss mehr.
Ich überwand mich und sprach ihn an. Es war einer der Produzenten des Films. Steve Lichtag. Er erzählte mir, dass heute bereits der 25. Drehtag des in Wien und China spielenden Film "The last Visa" sei. Es gehe um die wahre Geschichte des chinesischen Botschafters Ho Feng Shan in Wien, bekannt als "Schindler Chinas", der während des Zweiten Weltkrieges tausende Juden vor den Deportationen rettete, indem er die für die Ausreise der Juden gebrauchten Visa besorgte.

2001 wurde er vier Jahre nach seinem Tod posthum als "Gerechter unter der Völkern" im Holocaustmuseum Yad Vashem in Jerusalem geehrt.

Die Premiere des Films, so der Produzent, findet Ende des nächsten Jahres in Peking statt.


Der Produzent Steve Lichtag im Interview.
Der Hauptdarsteller spielt Ho Feng Shan, den "Schindler Chinas".


An diesem Tag lernte ich sehr viele Leute kennen. Ich unterhielt mich mit einigen Leuten, die ich nach ihren Eindrücken fragte und nahezu alle waren ebenso erstaunt wie ich. Ein Mann aus Spanien, mit einer Kippa in der Hand, erzählte mir, dass er gerade noch in der Maisel-Synagoge gewesen war und total erschrak, als er die Hakenkreuze sah. Durchweg waren aber auch die meisten Touristen begeistert an ein solch aufwendig gestaltetes Filmset geraten zu sein.

Es war unheimlich kalt, auch wenn die Sonne schien und man merkte den Statisten, die auch noch durch künstlich erzeugten Regen laufen mussten, an, dass sie froren, vor allem, weil sie solange warten mussten. Schliesslich sollten sie sich für eine besondere Szene mit Hakenkreuzfahnen ausgestattet, an ein Bahngleis stellen und den marschierenden Soldaten und einem vorwegfahrenden Wagen mit einer wunderschönen Frau zujubeln.


Für mich war es ganz besonders, auch mal zu sehen, wie ein Film gedreht wird und wie viel Arbeit und Anstrengung dahinter steckt. Alle Beteiligten, und es waren sehr sehr viele, waren hochkonzentriert und äusserst professionell.



Als sich die Dreharbeiten dem Ende zuneigten, lief ich mit eiskalten Händen und einigen Geschehnissen zum Nachdenken Richtung Metro und fuhr nach Hause.

Was für ein Tag.

Ksenia.



http://www.yadvashem.org/yv/en/righteous/stories/ho.asp
http://twinstarfilm.com/web/category/films/steve-lichtag/



Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen