Mittwoch, 16. Dezember 2015

Weihnachten in Prag. Oder - Wie ein Schuh zum Orakel wird.

Es gibt eine Zeit im Jahr, da werden die einen besinnlich und die anderen depressiv.
Massen mit Paradiesäpfeln in den Mündern, Einkaufstüten in den Händen, Tannenbäumen auf der Schulter und Glühwein an den Lippen (wahlweise auch mit zuckersüßem Honigwein) stürmen durch die Gassen der Städte, zusammengedrängt und doch mit strahlender Freude oder eben gnadenloser Anstrengung in den Augen.

Obwohl das Auswertige Amt von fast 80 % Tschechen ausgeht, die ohne religiöse Bekenntnis sind, geht die Weihnachtszeit auch in Prag nicht spurlos an den Menschen vorüber. Die Frage nach einem noch aktuellen Zusammenhang zwischen Religiosität und dem Feiern von Weihnachten soll hier an dieser Stelle aber sowieso keine Rolle spielen.

Im Folgenden möchte ich 3 Bräuche aufgreifen, die mir hier begegnet sind, die die Tschechen über die Weihnachts- und Neujahrstage so pflegen und die mal eine Abwechslung zum klassischen Bleigießen (in Tschechien auch sehr beliebt) oder Raclette wären. Natürlich ist jede Familie anders, für viele spielen diese Bräuche und Traditionen überhaupt keine Rolle, aber trotzdem ist es ganz amüsant zu sehen, was beliebt ist. 





1. Die Zukunft "in a nutshell"


Man nehme Walnüsse und eine Schüssel mit Wasser (oder eine Badewanne in der Luxusvariante). Jetzt werden die Walnüsse vorsichtig geleert ohne die Schale zu zerbrechen und eine kleine Geburtstagskerze mit eigenem heißen Wachs darin werden darin platziert. Anschließend zündet man die Kerze an und lässt sie ganz vorsichtig in die Mitte der mit Wasser gefüllten Schüssel nieder. Jetzt nur noch beobachten was passiert, um somit "in die Zukunft" zu sehen.
Es gibt viele Interpretationen: die einen sagen, man stirbt, wenn die Schale sogleich sinkt (viele Bräuche sind kurioserweise mit dem Tod verbunden), andere sprechen von anderem großen Unglück, was einem in diesem Falle widerfährt. Treibt die Schale davon und nähert sich nicht den Schalen der anderen, wird man weit reisen, so sagen die einen oder wird ein langes und glückliches Leben führen, so die anderen. Ich bin mir sicher, dass sich meine Zukunftsvorschau erfüllen wird.


           


Die Walnussschale wird vorsichtig zu Wasser gelassen.
Mein "Böötchen ist das  mit der grünen Kerze oben rechts. Wohin wirds wohl als nächstes gehen?




2. Tod oder Leben? Ein Apfel zeigt es.


Ein weiterer recht simpler Brauch, der leicht nachzumachen ist und nicht viel Außergewöhnliches benötigt, ist das Apfelschnitzen. Nach dem Essen an Weihnachten werden hierzu ganz normale Äpfel in der Mitte, allerdings horizontal, aufgeschnitten. Ist das Kerngehäuse im Mittleren des Apfels sternförmig, wird es im nächsten Jahr viel Glück und Gesundheit geben. Zeichnet sich dort jedoch ein Kreuz ab, so ist dies ein böses Omen und man wird krank oder stirbt im nächsten Jahr sogar. Süße Idee, aber warum denn solch radikalen Vorhersagen?

Das Innere meiner Apfelhälfte ist ja wohl eindeutig sternenförmig, oder?



3. Brautstrauß   ehh... Schuhwerfen


Der dritte Brauch den ich kennengelernt habe, zeugt von der anscheinend großen Lust junger tschechischer Mädchen (oder ihrer Familien) zu heiraten, denn anscheinend gibt es einige Bräuche, die die eheliche Zukunft der Töchter voraussagen soll.
Dabei muss es gar nicht das uns bekannte Brautstraußwerfen sein, was mich so ein bisschen an diese Tradition erinnert. Ein herkömmlicher Schuh tut es auch. 
Eine nicht verheiratete Frau nach der Anderen stellt sich mit dem Rücken zu einer Tür, nimmt einen Schuh und wirft selbigen über ihre Schulter Richtung Tür. Zeigt dieser mit der Spitze zur Tür, klingeln im nächsten Jahr für sie die Hochzeitsglocken, richtet sich die Spitze des Schuhs dagegen von der Tür weg oder zeigt in eine andere Richtung muss die Frau leider noch ein bisschen warten. Das Aufatmen der Männer dürfte sowohl beim Brautstraußwerfen, als auch beim Schuhwerfen sehr ähnlich sein.


Nächstes Jahr darf ich wohl an der Hochzeit meiner finnischen Freundin Elina teilnehmen.Mein Schuhwurf dagegen indizierte mir, dass ich noch etwas Zeit habe.




Es gibt natürlich noch Unmengen an weiteren Traditionen. Manchen Tschechen, sind aber auch die oben genannten Bräuche garnicht bekannt. Ich fand es schön, diese mal kennenzulernen und werde sie mit meinen Freunden an Silvester in Prag ausprobieren.
So neigt sich 2015 auch schon, wenn auch langsam, dem Ende zu. Die ersten Klausuren sind geschrieben, die Koffer bald gepackt und es geht für mich über die Feiertage zurück in die Heimat. Ich freue mich schon riesig alle wiederzusehen, aber auch wieder herzukommen und Silvester in dieser tollen Stadt zu verbringen. 


Ksenia




















http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/01-Nodes_Uebersichtsseiten/TschechischeRepublik_node.html


Sonntag, 22. November 2015

Der 17. November in Prag - Nicht nur für mich ein besonderer Tag

Der 17. November ist in Tschechien ein ganz besonderer Tag. Vor allem in Prag herrschte vergangenen Dienstag ganz schöner Trubel. Für mich persönlich gab es gleich mehrere Ereignisse, die mich noch lange an diesen Tagen werden denken lassen.
Genau genommen sollte jeder Student diesen Tag besonders gut kennen, tatsächlich ist der 17. November ein internationaler Tag der Studenten und erinnert bereits seit dem Jahre 1941, als er von London aus ausgerufen wurde an die Proteste junger tschechischer Studenten in Prag gegen die deutsche Besatzung der Tschechoslowakei im Oktober und November 1939. Vor allem ein junger Mann steht in Tschechien für diese aufständische studentische Bewegung und wird noch heute als Held gefeiert. Jan Opletal, ein junger tschechischer Medizinstudent wurde am 28. Oktober 1939 bei eben solchen Demonstrationen durch einen Schuss schwer verletzt und erlag diesen am 11. November 1939. 
6 Tage später - am 17. November folgten dann bei der "Sonderaktion Prag" die wohl größten Sanktionen der Nazis gegen die studentischen Aufstände, indem die Besatzer ,befohlen durch Hitler, viele Studenten hinrichteten, über tausend Studenten in das Konzentrationslager Sachsenhausen deportierten und viele studentische Institutionen schlossen.
Zudem gilt das Gedenken an diesem Tag seit 1989 auch den studentischen Aufständen am Vorabend der sogenannten "Samtenen Revolution", zu der ich aber in einem weiteren Blogeintrag vorhabe zu erzählen.


Von der Relevanz des 17. Novembers bekam ich schon sehr früh in meinem Auslandsaufenthalt mit, allerdings von relativ ungewöhnlicher Seite.
Als für mich feststand, dass ich in Prag leben würde, gingen damit einige Ziele für diese Zeit einher. Eines davon: wieder anfangen zu singen. Ich habe immer schon sehr gerne gesungen und vor allem in meiner Schulzeit viel und oft zu einigen Gelegenheiten.
Seit dem ich mein Studium begonnen habe und somit auch von zuhause weggezogen bin, wurde das immer mehr zur Rarität.
In Münster fand ich weder einen geeigneten Rahmen dafür, weil ich doch meistens nur privat gesungen hatte, noch traute ich mich so richtig, die Musik laut in meiner Studentenbude zu machen.
Und so verstrichen tatsächlich zwei Jahre in Münster, ohne dass ich mal wieder so richtig gesungen hätte. 

In Prag war das aber anders. Schon in der ersten Woche sollte eine Email mir genau diesen Wunsch greifbar nahe bringen. In dieser wurde angekündigt, dass sich der Chor der Karls-Universität von nun an jeden Mittwoch treffen und am kommenden Mittwoch die erste Probe stattfinden würde.
Ich wusste: da muss ich hin. Ich hatte zwar vorher noch nie wirklich in einem Chor gesungen, aber in der Email wurde beschrieben, dass keine Vorbereitungen oder Vorkenntnisse erforderlich seien und so machte ich mich schnell auf den Weg zur ersten Probe, die sich, anders als ich und viele weitere "Neulinge" gedacht hatten, als Vorsingen rausstellte. Soviel sei gesagt, nur einige wenige Vorsänger durften nicht dabei sein, aber ein wenig stolz, dass ich mitsingen durfte, war ich dann schon.


Die letzten Wochen verbrachten wir also damit 13 Stücke einzustudieren. Das Ziel: 
Ein Konzert und eine musikalische Begleitung bei der Kranzniederlegung tschechischer Soldaten am 17. November.

Die Stücke sind klassische tschechische Stücke von den berühmten tschechischen Komponisten Dvorák und Suk. Die Schwierigkeiten für diejenigen von uns, die aus dem Ausland kommen, war die Sprache. Eine besondere Herausforderung für mich war dabei auch noch die Verbindung zu dem Singen nach Noten, weil ich das vorher nie geübt hatte. Schnell wuchsen einem aber die Stücke ans Herz und vor allem das Stück "Mat´ Moja" (Meine Mutter) von Suk berührt mich noch immer sehr, auch wenn ich bis heute einen Ohrwurm davon habe und es nahezu auswendig singen kann.

"Mat´ Moja" von Suk



Für mich war dieser Tag so besonders, weil ich einerseits einfach bei diesem Ereignis dabei sein durfte, was für mich schon aus historischen Gründen sehr interessant ist, auf der anderen Seite, waren wir mit dem Chor auch ein zumindest kleiner Teil dieses Tages und das war sehr bewegend.


So sangen wir morgens vor dem noch heute als eben solchem genutzten Studentenwohnheim "Hlávkova kolej". Damit begleiteten wir die Kranzniederlegung tschechischer Soldaten in Erinnerung an die "Sonderaktion Prag" und an die ermordeten und deportierten Studenten, unter anderem Jan Opletal, der in diesem Studentenwohnheim lebte. Vorher hielten einige tschechische Politiker, unter anderem der tschechische Regierungschef Bohuslav Sobotka, ein Student und ein Zeitzeuge, der damals ein Student gewesen war und das Konzentrationslager Sachsenhausen überlebte, Reden zu eben diesem Anlass. Leider konnten viele von uns, auch ich, nicht besonders viel verstehen, da die Redner auf tschechisch sprachen, dennoch merkte man, dass wir da gerade bei etwas Bedeutendem dabei waren.
Eingang zum "Hlávkova kolej" mit einer Gedenktafel für Jan Opletal


Kränze im Namen vieler bedeutender Politiker und Menschen der Öffentlichkeit



Abends fand dann ein Konzert mit dem Chor sowie dem Orchester der Karls-Universität statt. Währenddessen fanden in Prag viele weitere Demonstrationen und Gedenkveranstaltungen in Prag statt. Ich möchte bewusst in einem meiner nächsten Blogeinträge auf diese Demonstrationen und Ereignisse eingehen, da diese auch mit der jetzigen politischen und sozialen Situation in Prag und Tschechien zutun haben und meiner Meinung noch eines eigenen Blogeintrags und einiger Recherche meinerseits bedürfen.


Programm des Konzertes am Abend

Der Auftritt des Orchesters der Karls-Universität

Kerzenmeer für die Studenten



Zu guter letzt ist dieser Tag für mich noch aus einem anderen, wenn auch etwas unbedeutenderen Grund so wichtig. Genau vor zwei Monaten bin ich nach Prag gezogen. 
Noch jetzt fühlt es sich irgendwie unwirklich an. Die Zeit vergeht hier wirklich wie im Flug. Ich denke viele Leute, die für einige Zeit woanders gelebt haben und so viele Menschen kennengelernt und soviele Eindrücke auf einmal hatten, werden mir zustimmen, dass genau diese Zeit im Leben rasend fließt. So buchen bereits jetzt zwei meiner Mitbewohner ihre Tickets zurück nach Hause und bald heißt es dann bereits von vielen neuen liebgewonnen Menschen Abschied nehmen. Das ist wirklich verrückt und absurd. Aber umso mehr zeigt es mir, dass es genau richtig ist, solche Erfahrungen zu sammeln und mal aus meiner Komfortzone auszubrechen. Ich bin wirklich glücklich das erleben zu können.







- Nachrichten mit Live-Übertragung vom 17. November in Prag. Ab Minute 118 Live-Übertragung der Veranstaltung vor dem "Hlávkova kolej"

Ksenia








Samstag, 7. November 2015

Die Willkür des Krieges - Das Dörfchen Lidice

Vergangene Woche habe ich meinen ersten Ausflug außerhalb von Prag unternommen und bin mit einigen Leuten - durch das International Office der Karls-Universität organisiert - nach Lidice gefahren. Noch nie davon gehört? Ich glaube ich hätte auch nicht so schnell davon erfahren, wenn ich nicht bereits in meinem ersten Semester in Münster das Seminar über die ehemalige Tschechoslowakei während des Zweiten Weltkriegs belegt hätte. Das war einer meiner ersten Berührungspunkten mit Tschechien und ich bin froh, das heute teilen zu können. Denn das, was in Lidice geschehen ist, ist für mich noch jetzt beinahe unvorstellbar.
Lidice liegt etwa 20 Kilometer westlich von Prag und wir fuhren mit einem öffentlichen Bus etwa 15 Minuten, stiegen aus und wunderten uns sogleich darüber, wo wir gelandet waren. Weit und breit nur Felder und Rasen. Es war ein so wunderschöner sonniger Tag und die Sonne ließ das rote und orangene Laub wunderbar strahlen. Es war entspannend einmal dem Getummel der Stadt zu entkommen.                             






Um aber verstehen zu können, was dieses Dörfchen, was so unscheinbar und idyllischdaherkommt, so besonders und berühmt macht, ist es wichtig einige historische Zusammenhänge zu kennen. 

Die Tragödie von Lidice fand während des Zweiten Weltkriegs statt. Ab dem 16.März 1939 wurde die damalige Tschechoslowakei von den Nazis als das "Protektorat Böhmen und Mähren" ausgerufen, das bis zum Ende des Krieges am 8. Mai 1945 bestand. Dieses "Schutzgebiet" besaß zwar formell eine Selbstverwaltung, unterstand jedoch durchweg deutschem Befehl und wird aus heutiger Sicht als eine Annexion bewertet. Mit dieser Besatzung erhoffte sich Hitler sowohl wirtschaftlichen Profit, als auch langfristig eine Germanisierung des Gebiets, weil im sogenannten Sudetenland sehr viele Deutsche lebten und weil die Nazis damit ihre berühmte "Heim-ins-Reich"-Politik führten.

Diese Besatzung und die Aufteilung unterschiedlicher Gebiete, vor allem die Eingliederung des Sudetenlandes wurde unter Zustimmung Italiens, Großbritanniens und Frankreichs am 29. September 1938 im berühmten "Münchener Abkommen" beschlossen.

Zunächst umfasste das besetzte Gebiet gemäß diesem Abkommen vorallem das Sudetenland. Schnell machte Hitler jedoch deutlich, dass er das Münchener Abkommen brechen und die "Rest-Tschechei" ebenfalls zu annektieren beabsichtigte.

Am 15. März erreichte Hitler Prag und proklamierte damit die "Zerschlagung der Rest-Tschechei". Das Protektorat wurde durch die Tschechen selbst verwaltet "jedoch im Einklang mit den militärischen und wirtschaftlichen Belangen des Reiches". 
Praktisch unterstand die autonome Selbstverwaltung des Gebiets also sogenannten "Reichsprotektoren". Seit dem September 1941 war Reinhard Heydrich der stellvertretene Reichsprotektor, der für die neuere Geschichte des kleinen Dörfchens Lidice eine zentrale Rolle spielt.

Heydrich ging als "Schlächter von Prag" in die Geschichte ein, da er für die besonders harte Verfolgung und Bestrafung tschechischen Widerstands bekannt war.
So wurde er am 27. Mai 1942 Opfer eines schweren Attentats, welches im Exil geplant und von tschechoslowakischen Fallschirmjägern in der sogenannten "Operation Antropoid", die von Jan Kubis und Jozef Gabcik durchgeführt wurde. Heydrich wurde bei diesem Anschlag schwer verletzt und erlag wenige Tage später am 4. Juni 1942 seinen Verletzungen.

Als Vergeltungsmaßnahme für den Mord an Heydrich begann zu dieser Zeit die sogenannte "Heydrichiáda". Dabei wurden 10000 Tschechen festgenommen und über 1300 getötet. Das "Massaker von Lidice" gilt bis heute als Beispiel für die willkürliche Gewalt dieser Zeit.

Es scheint auf den ersten Blick eigenartig oder zumindest verwunderlich, warum die Nazis gerade dieses Dörfchen für ihre Vergeltungsmaßnahme wählten. Die Begründung ist äußerst perfide. Es soll irgendeine Beziehung zwischen den Attentätern und der Familie Horák bestanden haben, was einer ungefähren Beschreibung von beschlagnahmten Briefen entsprang. Alleine wegen dieser vagen Vermutung entschieden sich die Nazis zu einem Racheakt gegen die gesamte Bevölkerung von Lidice.

Überreste des Hofs der Familie Horák

1942 gab es in Lidice 102 Häuser, 503 Einwohner und 14 Höfe. In der Nacht vom 9. auf den 10. Juni 1942 wurden alle Dorfbewohner zusammengetrieben. Alle 173 Männer über 15 Jahren wurden in den Hof der Familie Horák gebracht und am nächsten Tag ohne Anklage, ohne ihre angeblich begangenen Verbrechen zu erfahren, erschossen.

195 Frauen wurden in das Konzentrationslager Ravensbrück, das größte Frauenlager  auf deutschem Gebiet gebracht, wo 52 von ihnen ermordet wurden. Sieben schwangere Frauen des Dorfes entbanden ihre Kinder und wurden anschließend ebenfalls nach Ravensbrück gebracht. Die 98 Kinder von Lidice wurden nach Litzmannstadt deportiert. 13 Kinder wurden zur Germanisierung in ein Heim gebracht. Die anderen Kinder wurden in das Vernichtungslager Kulmhof deportiert und dort vergast. Die Kinder, die zur Germanisierung ausgesondert wurden, wurden nach dem Krieg in Bayern wieder aufgefunden. Das gesamte Örtchen Lidice wurde niedergebrannt, gesprengt und dem Erdboden gleichgemacht. Das Dorf sollte von Landkarte verschwinden.

Überreste der alten Schule von Lidice
                    

Das Lidice, das heute existiert, wurde im Jahre 1947 und in den darauffolgenden Jahren etwa 300 Meter vom ehemaligen Lidice wieder augebaut. 2000 wurde die installierte Gedenkstätte umfassend renoviert.
Ein kleines Museum zeigt die schicksalhafte Geschichte von Lidice. Ein Spaziergang führt über das ehemalige Gelände von Lidice, mit den Überresten des Hofes der Familie Horák, denen der alten Schule und einigen Denkmälern.
Allen voran hat mich vor allem das Denkmal für die Kinder des Krieges sehr berührt. Eine Bronzestatue der tschechischen Bildhauerin Maria Uchytilová, die 82 lebensgroße Kinder zeigt, die die Kinder von Lidice darstellen sollen und gleichzeitig ein "Denkmal für die Kinderopfer des Krieges" ist.

Nach dem Mittagessen besuchten wir außerdem eine Kunstausstellung in der Lidicer Galerie, welche Kunstwerke von Kindern aus aller Welt zeigt und wir waren alle wirklich sehr begeistert, welche Bilder, Fotografien und Skulpturen zum diesjährigen Thema "Licht" eingesendet wurden.



                        

                            
Denkmal der Lidicer Kinder
  
 
                         
                         
Blick in das Tal und auf das Gelände des ehemaligen Dorfes
                     
                         
Blick auf die Hauptallee des heutigen Lidice
                         
                         
           Die Gedenkstätte mit dem angrenzenden Museum            
                         

Und so ging unser Tagesausflug vorbei. Wer einmal in Prag ist und ein wenig mehr Zeit und Interesse an Geschichte mitbringt, dem kann ich den Besuch von Lidice wirklich empfehlen. Man kommt mit den öffentlichen Verkehrmitteln problemlos hin und sollte mindestens einen halben Tag einplanen.




Ksenia


http://www.lidice-memorial.cz/de/

Lidice Früher. Lidice Heutzutage. 2009.

Montag, 26. Oktober 2015

Piss

„Ein Künstler kann selten ein großer Künstler sein, wenn er konform ist. Ich habe wenige Künstler im Leben gekannt, die nicht in der Opposition waren. Da ist der David Černý keine Ausnahme. Dass er es witziger macht als die meisten, provokanter als die meisten, ist auch richtig.“

- Karel Schwarzenberg, ehemaliger Außenminister der Tschechischen Republik, Metropolis, Arte

Kann ein einziger Mann eine ganze Nation aufregen, aufmischen, zum Lachen bringen, ihnen auf jeden Fall irgendeine Reaktion abgewinnen, egal welcher Art? Ich glaube auf keine Person trifft diese Beschreibung besser zu als auf den tschechischen Künstler David Černy. Der 1967 in Prag geborene Bildhauer ist wohl der berühmteste Repräsentant des so typisch tschechischen Galgenhumors.

Zahlreiche seiner Kunstwerke von skuril bis schrill, von politisch unkorrekt bis ironisch schmücken ganz Prag und spiegeln den schwarzen Humor des Künstlers wider.

Es ist eigentlich unmöglich Prag zu besuchen und nicht, zumindest durch Zufall, auf eines seiner Kunstwerke zu stoßen. Mittlerweile erwarte ich schon hinter jedem Haus oder jeder Ecke eine neue skurille Skulptur.

Wisst ihr noch als ich vor einigen Wochen das Kafkamuseum besuchte? Gleichzeitig machte ich eine unerwartete Entdeckung. Schnell war mir klar, wer für diesen Scherz verantwortlich war. Ich war durch Zufall auf "einen typischen Černy" gestoßen.

"Piss" vor dem grossen "K" am Kafkamuseum.

Im Innenhof des Kafkamuseums, direkt an der Moldau standen sich zwei bereits oxidierte männliche Kupferfiguren gegenüber, die sichtlich entzückt und stolz in ein etwas merkwürdig geformtes Becken urinierten. Bei genauerem Hinsehen stellt man schnell fest, dass der gute Černy hier einen kleinen politischen Streich gespielt hat, als er die Kupferfiguren in ein Becken, mit den Umrissen der Tschechischen Republik "pissen" ließ.

Ein weiteres kleines Schmankerl habe ich erst realisiert, als ich mit meinen Recherchen zum Künstler für den Blog begonnen habe. Es ist anscheinend möglich eine Sms mit einer beliebigen Nachricht an eine bestimmte Nummer (die wohl irgendwo um das Kunstwerk herum zu finden ist) zu senden und einige Sekunden später dann dabei zuzusehen, wie die Kupferfiguren kunstvoll ebendiese in das Wasser "zeichnen". Diesen Spaß werde ich mir natürlich nicht entgehen lassen und hoffe darauf, dass mein nächster Besuch nun auch neugierig geworden ist?



Černy erregte übrigens bereits 1991 das erste Mal Aufsehen, als er verhaftet wurde, weil er einen sowjetischen Panzer pink einfärbte und somit viele Politiker der Lächerlichkeit preis gab.

Hiermit starte ich also nun meine Černy-Reihe und hoffe ihr habt genauso viel Spaß wie auch ich an den Kunstwerken des so umstrittenen Künstlers.


Viele Touristen versammeln sich täglich vor Černys Installation.

Ksenia

Metropolis vom 4. Juli 2009 (Arte)
http://www.art-magazin.de/kunst/14239/entropa_david_cerny
http://www.art-magazin.de/kunst/14239/entropa_david_cerny
http://www.theguardian.com/travel/2012/aug/10/david-cerny-sculpture-walk-prague-city-break 
http://www.eatingpraguetours.com/blog/david-cerny-prague/
 

Montag, 12. Oktober 2015

Ein verrückter Tag in Prag

Ich weiß wirklich nicht, wo ich anfangen soll zu erzählen. Wirklich. Immer noch bin ich vollkommen perplex. WAS FÜR EIN TAG.

Aber mal ganz von vorne. 

Meine Mitbewohnerin und ich wollten am Samstag Abend eigentlich nur in eine Bar in der Altstadt Prag, um einige Leute zu treffen. Wir nahmen die Tram, um an der Station "Jindřišská" auszusteigen und dann noch ein Stück zu laufen.

Wir stiegen aus und ich fragte meine Mitbewohnerin: "Oh mein Gott. Siehst du das?"

Ich dachte ich sehe nicht richtig, aber als wir näher kamen, erkannte ich blitzartig, dass ich genau richtig gesehen hatte.




Hakenkreuze. Soweit das Auge reicht. Keine aufgesprayten oder gekrakelten. Hakenkreuze auf roten Flaggen, auf metallenen Tafeln, auf den Seitenwänden der Bushaltestellen. Mein erste Gedanke war die Frage, was zum Teufel hier vor sich geht.

Wir näherten uns einer kleinen Menschentraube und ich bekam schnell die Antwort auf meine Frage. Es wurde hier gerade ein Filmset vorbereitet, antwortete mir ein Mann, der gerade dort arbeitete. Sonntag, so sagte er, fänden hier Dreharbeiten für einen Film statt.

Ich schaut mich nun etwas genauer um und entdeckte jetzt auch die mit "Am Graben" überdeckten Strassenschilder., eine alte Litfasssäule, Plakate, die "Die Juden sind unser Unglück" oder "Jude raus" titelten.



Ich beschloss schnell, dass ich am Sonntag unbedingt herkommen und die Dreharbeiten miterleben musste.


Gesagt. Getan. Direkt nach dem Frühstück machte ich mich auf den Weg. Ich stieg in dieselbe Tram, wunderte mich aber schnell, dass sie einen anderen Weg fuhr als gestern. Klar. Das hätte ich mir denken können. Die Tram fuhr aufgrund des aufgebauten Filmsets eine Umleitung, wie mir ein junger Tscheche freundlicherweise die Durchsage des Schaffners übersetzte.

Wir beide stiegen aus. Ich fragte ihn, nach dem Fußweg zur Jindřišská, also zu den Dreharbeiten und er sagte er wolle ebenfalls dort zusehen und fragte lächelnd, ob ich denn die "Zeichen" auch mag. Erst hab ich gedacht ich habe ihn nicht richtig verstanden. Aber er meinte die Hakenkreuze und ich machte ihm natürlich sofort klar, dass ich absolute Gegnerin bin und aus Deutschland komme, historisch daran interessiert bin und Geschichte studiere.

Er antwortete mit nun etwas ernsthafterer Miene: "Oh.". Schnell wurde mir klar, dass hier irgendwas nicht stimmt. Er offenbarte mir sogleich, nach einigen Fragen meinerseits, dass er glaubt, dass es auch "viele gute Seiten" am Nationalsozialismus gab und gibt und dass er nicht an die "Holocaust-Geschichte" glaube.

Ich fiel wirklich aus allen Wolken. Das passiert gerade wirklich? In Prag? 2015?

Im Affekt wusste ich mir nicht anders zu helfen. Ich fing lauthals an, mit ihm zu diskutíeren. Ob er das ernst meine, erklärte ihm, dass der Holocaust das am besten erforschte zeitgeschichtliche Geschehen sei. Darauf antwortete er nur "Die Geschichte wird von den Gewinnern geschrieben." Er konterte mit einigen Personen, die die Opferzahlen und die Einmaligkeig des Holocaust leugnen und verharmlosen. Ich versuchte ihm zu erklären, dass diese Schriften pseudowissenschaftlich seien und von Historikern auf der ganzen Welt widerlegt werden können. Doch er ließ sich nicht abbringen.

Die Passanten schauten mich wirklich verdutzt an, weil ich so laut und verzweifelt versuchte, diesen jungen Tschechen, wie er sagte 21 Jahre alt, wachzurütteln. Er hielt an seiner Meinung, meiner Meinung nach einer klassischen Verschwötungstheorie, fest.

Als ich merkte, dass es nichts mehr bringt, wünschte ich ihm einen Tag, an dem er hoffentlich genauso darüber nachdenken würde wie ich und zog weiter Richtung Filmset, völlig mitgenommen von dem, was mir gerade geschehen ist. Ich sah ihn dort übrigens nicht mehr wieder.





Ich kam an und es bot sich mir ein unfassbares Bild. Mindestens hundert Statisten. Darunter als deutsche Soldaten oder Zivilisten verkleidete Menschen. Männer mit Gewehren und Hakenkreuzabzeichen und Frauen mit Haarwellen und Kleidern aus den 30er Jahren ausgestattet, warteten auf ihren "Einsatz".


Es wurde gerade eine kleine Filmszene in einer Telefonbude gedreht. Ich sah einen Mann, der interviewt wurde und wusste sofort: Der weiss mehr.
Ich überwand mich und sprach ihn an. Es war einer der Produzenten des Films. Steve Lichtag. Er erzählte mir, dass heute bereits der 25. Drehtag des in Wien und China spielenden Film "The last Visa" sei. Es gehe um die wahre Geschichte des chinesischen Botschafters Ho Feng Shan in Wien, bekannt als "Schindler Chinas", der während des Zweiten Weltkrieges tausende Juden vor den Deportationen rettete, indem er die für die Ausreise der Juden gebrauchten Visa besorgte.

2001 wurde er vier Jahre nach seinem Tod posthum als "Gerechter unter der Völkern" im Holocaustmuseum Yad Vashem in Jerusalem geehrt.

Die Premiere des Films, so der Produzent, findet Ende des nächsten Jahres in Peking statt.


Der Produzent Steve Lichtag im Interview.
Der Hauptdarsteller spielt Ho Feng Shan, den "Schindler Chinas".


An diesem Tag lernte ich sehr viele Leute kennen. Ich unterhielt mich mit einigen Leuten, die ich nach ihren Eindrücken fragte und nahezu alle waren ebenso erstaunt wie ich. Ein Mann aus Spanien, mit einer Kippa in der Hand, erzählte mir, dass er gerade noch in der Maisel-Synagoge gewesen war und total erschrak, als er die Hakenkreuze sah. Durchweg waren aber auch die meisten Touristen begeistert an ein solch aufwendig gestaltetes Filmset geraten zu sein.

Es war unheimlich kalt, auch wenn die Sonne schien und man merkte den Statisten, die auch noch durch künstlich erzeugten Regen laufen mussten, an, dass sie froren, vor allem, weil sie solange warten mussten. Schliesslich sollten sie sich für eine besondere Szene mit Hakenkreuzfahnen ausgestattet, an ein Bahngleis stellen und den marschierenden Soldaten und einem vorwegfahrenden Wagen mit einer wunderschönen Frau zujubeln.


Für mich war es ganz besonders, auch mal zu sehen, wie ein Film gedreht wird und wie viel Arbeit und Anstrengung dahinter steckt. Alle Beteiligten, und es waren sehr sehr viele, waren hochkonzentriert und äusserst professionell.



Als sich die Dreharbeiten dem Ende zuneigten, lief ich mit eiskalten Händen und einigen Geschehnissen zum Nachdenken Richtung Metro und fuhr nach Hause.

Was für ein Tag.

Ksenia.



http://www.yadvashem.org/yv/en/righteous/stories/ho.asp
http://twinstarfilm.com/web/category/films/steve-lichtag/