Sonntag, 22. November 2015

Der 17. November in Prag - Nicht nur für mich ein besonderer Tag

Der 17. November ist in Tschechien ein ganz besonderer Tag. Vor allem in Prag herrschte vergangenen Dienstag ganz schöner Trubel. Für mich persönlich gab es gleich mehrere Ereignisse, die mich noch lange an diesen Tagen werden denken lassen.
Genau genommen sollte jeder Student diesen Tag besonders gut kennen, tatsächlich ist der 17. November ein internationaler Tag der Studenten und erinnert bereits seit dem Jahre 1941, als er von London aus ausgerufen wurde an die Proteste junger tschechischer Studenten in Prag gegen die deutsche Besatzung der Tschechoslowakei im Oktober und November 1939. Vor allem ein junger Mann steht in Tschechien für diese aufständische studentische Bewegung und wird noch heute als Held gefeiert. Jan Opletal, ein junger tschechischer Medizinstudent wurde am 28. Oktober 1939 bei eben solchen Demonstrationen durch einen Schuss schwer verletzt und erlag diesen am 11. November 1939. 
6 Tage später - am 17. November folgten dann bei der "Sonderaktion Prag" die wohl größten Sanktionen der Nazis gegen die studentischen Aufstände, indem die Besatzer ,befohlen durch Hitler, viele Studenten hinrichteten, über tausend Studenten in das Konzentrationslager Sachsenhausen deportierten und viele studentische Institutionen schlossen.
Zudem gilt das Gedenken an diesem Tag seit 1989 auch den studentischen Aufständen am Vorabend der sogenannten "Samtenen Revolution", zu der ich aber in einem weiteren Blogeintrag vorhabe zu erzählen.


Von der Relevanz des 17. Novembers bekam ich schon sehr früh in meinem Auslandsaufenthalt mit, allerdings von relativ ungewöhnlicher Seite.
Als für mich feststand, dass ich in Prag leben würde, gingen damit einige Ziele für diese Zeit einher. Eines davon: wieder anfangen zu singen. Ich habe immer schon sehr gerne gesungen und vor allem in meiner Schulzeit viel und oft zu einigen Gelegenheiten.
Seit dem ich mein Studium begonnen habe und somit auch von zuhause weggezogen bin, wurde das immer mehr zur Rarität.
In Münster fand ich weder einen geeigneten Rahmen dafür, weil ich doch meistens nur privat gesungen hatte, noch traute ich mich so richtig, die Musik laut in meiner Studentenbude zu machen.
Und so verstrichen tatsächlich zwei Jahre in Münster, ohne dass ich mal wieder so richtig gesungen hätte. 

In Prag war das aber anders. Schon in der ersten Woche sollte eine Email mir genau diesen Wunsch greifbar nahe bringen. In dieser wurde angekündigt, dass sich der Chor der Karls-Universität von nun an jeden Mittwoch treffen und am kommenden Mittwoch die erste Probe stattfinden würde.
Ich wusste: da muss ich hin. Ich hatte zwar vorher noch nie wirklich in einem Chor gesungen, aber in der Email wurde beschrieben, dass keine Vorbereitungen oder Vorkenntnisse erforderlich seien und so machte ich mich schnell auf den Weg zur ersten Probe, die sich, anders als ich und viele weitere "Neulinge" gedacht hatten, als Vorsingen rausstellte. Soviel sei gesagt, nur einige wenige Vorsänger durften nicht dabei sein, aber ein wenig stolz, dass ich mitsingen durfte, war ich dann schon.


Die letzten Wochen verbrachten wir also damit 13 Stücke einzustudieren. Das Ziel: 
Ein Konzert und eine musikalische Begleitung bei der Kranzniederlegung tschechischer Soldaten am 17. November.

Die Stücke sind klassische tschechische Stücke von den berühmten tschechischen Komponisten Dvorák und Suk. Die Schwierigkeiten für diejenigen von uns, die aus dem Ausland kommen, war die Sprache. Eine besondere Herausforderung für mich war dabei auch noch die Verbindung zu dem Singen nach Noten, weil ich das vorher nie geübt hatte. Schnell wuchsen einem aber die Stücke ans Herz und vor allem das Stück "Mat´ Moja" (Meine Mutter) von Suk berührt mich noch immer sehr, auch wenn ich bis heute einen Ohrwurm davon habe und es nahezu auswendig singen kann.

"Mat´ Moja" von Suk



Für mich war dieser Tag so besonders, weil ich einerseits einfach bei diesem Ereignis dabei sein durfte, was für mich schon aus historischen Gründen sehr interessant ist, auf der anderen Seite, waren wir mit dem Chor auch ein zumindest kleiner Teil dieses Tages und das war sehr bewegend.


So sangen wir morgens vor dem noch heute als eben solchem genutzten Studentenwohnheim "Hlávkova kolej". Damit begleiteten wir die Kranzniederlegung tschechischer Soldaten in Erinnerung an die "Sonderaktion Prag" und an die ermordeten und deportierten Studenten, unter anderem Jan Opletal, der in diesem Studentenwohnheim lebte. Vorher hielten einige tschechische Politiker, unter anderem der tschechische Regierungschef Bohuslav Sobotka, ein Student und ein Zeitzeuge, der damals ein Student gewesen war und das Konzentrationslager Sachsenhausen überlebte, Reden zu eben diesem Anlass. Leider konnten viele von uns, auch ich, nicht besonders viel verstehen, da die Redner auf tschechisch sprachen, dennoch merkte man, dass wir da gerade bei etwas Bedeutendem dabei waren.
Eingang zum "Hlávkova kolej" mit einer Gedenktafel für Jan Opletal


Kränze im Namen vieler bedeutender Politiker und Menschen der Öffentlichkeit



Abends fand dann ein Konzert mit dem Chor sowie dem Orchester der Karls-Universität statt. Währenddessen fanden in Prag viele weitere Demonstrationen und Gedenkveranstaltungen in Prag statt. Ich möchte bewusst in einem meiner nächsten Blogeinträge auf diese Demonstrationen und Ereignisse eingehen, da diese auch mit der jetzigen politischen und sozialen Situation in Prag und Tschechien zutun haben und meiner Meinung noch eines eigenen Blogeintrags und einiger Recherche meinerseits bedürfen.


Programm des Konzertes am Abend

Der Auftritt des Orchesters der Karls-Universität

Kerzenmeer für die Studenten



Zu guter letzt ist dieser Tag für mich noch aus einem anderen, wenn auch etwas unbedeutenderen Grund so wichtig. Genau vor zwei Monaten bin ich nach Prag gezogen. 
Noch jetzt fühlt es sich irgendwie unwirklich an. Die Zeit vergeht hier wirklich wie im Flug. Ich denke viele Leute, die für einige Zeit woanders gelebt haben und so viele Menschen kennengelernt und soviele Eindrücke auf einmal hatten, werden mir zustimmen, dass genau diese Zeit im Leben rasend fließt. So buchen bereits jetzt zwei meiner Mitbewohner ihre Tickets zurück nach Hause und bald heißt es dann bereits von vielen neuen liebgewonnen Menschen Abschied nehmen. Das ist wirklich verrückt und absurd. Aber umso mehr zeigt es mir, dass es genau richtig ist, solche Erfahrungen zu sammeln und mal aus meiner Komfortzone auszubrechen. Ich bin wirklich glücklich das erleben zu können.







- Nachrichten mit Live-Übertragung vom 17. November in Prag. Ab Minute 118 Live-Übertragung der Veranstaltung vor dem "Hlávkova kolej"

Ksenia








Samstag, 7. November 2015

Die Willkür des Krieges - Das Dörfchen Lidice

Vergangene Woche habe ich meinen ersten Ausflug außerhalb von Prag unternommen und bin mit einigen Leuten - durch das International Office der Karls-Universität organisiert - nach Lidice gefahren. Noch nie davon gehört? Ich glaube ich hätte auch nicht so schnell davon erfahren, wenn ich nicht bereits in meinem ersten Semester in Münster das Seminar über die ehemalige Tschechoslowakei während des Zweiten Weltkriegs belegt hätte. Das war einer meiner ersten Berührungspunkten mit Tschechien und ich bin froh, das heute teilen zu können. Denn das, was in Lidice geschehen ist, ist für mich noch jetzt beinahe unvorstellbar.
Lidice liegt etwa 20 Kilometer westlich von Prag und wir fuhren mit einem öffentlichen Bus etwa 15 Minuten, stiegen aus und wunderten uns sogleich darüber, wo wir gelandet waren. Weit und breit nur Felder und Rasen. Es war ein so wunderschöner sonniger Tag und die Sonne ließ das rote und orangene Laub wunderbar strahlen. Es war entspannend einmal dem Getummel der Stadt zu entkommen.                             






Um aber verstehen zu können, was dieses Dörfchen, was so unscheinbar und idyllischdaherkommt, so besonders und berühmt macht, ist es wichtig einige historische Zusammenhänge zu kennen. 

Die Tragödie von Lidice fand während des Zweiten Weltkriegs statt. Ab dem 16.März 1939 wurde die damalige Tschechoslowakei von den Nazis als das "Protektorat Böhmen und Mähren" ausgerufen, das bis zum Ende des Krieges am 8. Mai 1945 bestand. Dieses "Schutzgebiet" besaß zwar formell eine Selbstverwaltung, unterstand jedoch durchweg deutschem Befehl und wird aus heutiger Sicht als eine Annexion bewertet. Mit dieser Besatzung erhoffte sich Hitler sowohl wirtschaftlichen Profit, als auch langfristig eine Germanisierung des Gebiets, weil im sogenannten Sudetenland sehr viele Deutsche lebten und weil die Nazis damit ihre berühmte "Heim-ins-Reich"-Politik führten.

Diese Besatzung und die Aufteilung unterschiedlicher Gebiete, vor allem die Eingliederung des Sudetenlandes wurde unter Zustimmung Italiens, Großbritanniens und Frankreichs am 29. September 1938 im berühmten "Münchener Abkommen" beschlossen.

Zunächst umfasste das besetzte Gebiet gemäß diesem Abkommen vorallem das Sudetenland. Schnell machte Hitler jedoch deutlich, dass er das Münchener Abkommen brechen und die "Rest-Tschechei" ebenfalls zu annektieren beabsichtigte.

Am 15. März erreichte Hitler Prag und proklamierte damit die "Zerschlagung der Rest-Tschechei". Das Protektorat wurde durch die Tschechen selbst verwaltet "jedoch im Einklang mit den militärischen und wirtschaftlichen Belangen des Reiches". 
Praktisch unterstand die autonome Selbstverwaltung des Gebiets also sogenannten "Reichsprotektoren". Seit dem September 1941 war Reinhard Heydrich der stellvertretene Reichsprotektor, der für die neuere Geschichte des kleinen Dörfchens Lidice eine zentrale Rolle spielt.

Heydrich ging als "Schlächter von Prag" in die Geschichte ein, da er für die besonders harte Verfolgung und Bestrafung tschechischen Widerstands bekannt war.
So wurde er am 27. Mai 1942 Opfer eines schweren Attentats, welches im Exil geplant und von tschechoslowakischen Fallschirmjägern in der sogenannten "Operation Antropoid", die von Jan Kubis und Jozef Gabcik durchgeführt wurde. Heydrich wurde bei diesem Anschlag schwer verletzt und erlag wenige Tage später am 4. Juni 1942 seinen Verletzungen.

Als Vergeltungsmaßnahme für den Mord an Heydrich begann zu dieser Zeit die sogenannte "Heydrichiáda". Dabei wurden 10000 Tschechen festgenommen und über 1300 getötet. Das "Massaker von Lidice" gilt bis heute als Beispiel für die willkürliche Gewalt dieser Zeit.

Es scheint auf den ersten Blick eigenartig oder zumindest verwunderlich, warum die Nazis gerade dieses Dörfchen für ihre Vergeltungsmaßnahme wählten. Die Begründung ist äußerst perfide. Es soll irgendeine Beziehung zwischen den Attentätern und der Familie Horák bestanden haben, was einer ungefähren Beschreibung von beschlagnahmten Briefen entsprang. Alleine wegen dieser vagen Vermutung entschieden sich die Nazis zu einem Racheakt gegen die gesamte Bevölkerung von Lidice.

Überreste des Hofs der Familie Horák

1942 gab es in Lidice 102 Häuser, 503 Einwohner und 14 Höfe. In der Nacht vom 9. auf den 10. Juni 1942 wurden alle Dorfbewohner zusammengetrieben. Alle 173 Männer über 15 Jahren wurden in den Hof der Familie Horák gebracht und am nächsten Tag ohne Anklage, ohne ihre angeblich begangenen Verbrechen zu erfahren, erschossen.

195 Frauen wurden in das Konzentrationslager Ravensbrück, das größte Frauenlager  auf deutschem Gebiet gebracht, wo 52 von ihnen ermordet wurden. Sieben schwangere Frauen des Dorfes entbanden ihre Kinder und wurden anschließend ebenfalls nach Ravensbrück gebracht. Die 98 Kinder von Lidice wurden nach Litzmannstadt deportiert. 13 Kinder wurden zur Germanisierung in ein Heim gebracht. Die anderen Kinder wurden in das Vernichtungslager Kulmhof deportiert und dort vergast. Die Kinder, die zur Germanisierung ausgesondert wurden, wurden nach dem Krieg in Bayern wieder aufgefunden. Das gesamte Örtchen Lidice wurde niedergebrannt, gesprengt und dem Erdboden gleichgemacht. Das Dorf sollte von Landkarte verschwinden.

Überreste der alten Schule von Lidice
                    

Das Lidice, das heute existiert, wurde im Jahre 1947 und in den darauffolgenden Jahren etwa 300 Meter vom ehemaligen Lidice wieder augebaut. 2000 wurde die installierte Gedenkstätte umfassend renoviert.
Ein kleines Museum zeigt die schicksalhafte Geschichte von Lidice. Ein Spaziergang führt über das ehemalige Gelände von Lidice, mit den Überresten des Hofes der Familie Horák, denen der alten Schule und einigen Denkmälern.
Allen voran hat mich vor allem das Denkmal für die Kinder des Krieges sehr berührt. Eine Bronzestatue der tschechischen Bildhauerin Maria Uchytilová, die 82 lebensgroße Kinder zeigt, die die Kinder von Lidice darstellen sollen und gleichzeitig ein "Denkmal für die Kinderopfer des Krieges" ist.

Nach dem Mittagessen besuchten wir außerdem eine Kunstausstellung in der Lidicer Galerie, welche Kunstwerke von Kindern aus aller Welt zeigt und wir waren alle wirklich sehr begeistert, welche Bilder, Fotografien und Skulpturen zum diesjährigen Thema "Licht" eingesendet wurden.



                        

                            
Denkmal der Lidicer Kinder
  
 
                         
                         
Blick in das Tal und auf das Gelände des ehemaligen Dorfes
                     
                         
Blick auf die Hauptallee des heutigen Lidice
                         
                         
           Die Gedenkstätte mit dem angrenzenden Museum            
                         

Und so ging unser Tagesausflug vorbei. Wer einmal in Prag ist und ein wenig mehr Zeit und Interesse an Geschichte mitbringt, dem kann ich den Besuch von Lidice wirklich empfehlen. Man kommt mit den öffentlichen Verkehrmitteln problemlos hin und sollte mindestens einen halben Tag einplanen.




Ksenia


http://www.lidice-memorial.cz/de/

Lidice Früher. Lidice Heutzutage. 2009.