Montag, 26. Oktober 2015

Piss

„Ein Künstler kann selten ein großer Künstler sein, wenn er konform ist. Ich habe wenige Künstler im Leben gekannt, die nicht in der Opposition waren. Da ist der David Černý keine Ausnahme. Dass er es witziger macht als die meisten, provokanter als die meisten, ist auch richtig.“

- Karel Schwarzenberg, ehemaliger Außenminister der Tschechischen Republik, Metropolis, Arte

Kann ein einziger Mann eine ganze Nation aufregen, aufmischen, zum Lachen bringen, ihnen auf jeden Fall irgendeine Reaktion abgewinnen, egal welcher Art? Ich glaube auf keine Person trifft diese Beschreibung besser zu als auf den tschechischen Künstler David Černy. Der 1967 in Prag geborene Bildhauer ist wohl der berühmteste Repräsentant des so typisch tschechischen Galgenhumors.

Zahlreiche seiner Kunstwerke von skuril bis schrill, von politisch unkorrekt bis ironisch schmücken ganz Prag und spiegeln den schwarzen Humor des Künstlers wider.

Es ist eigentlich unmöglich Prag zu besuchen und nicht, zumindest durch Zufall, auf eines seiner Kunstwerke zu stoßen. Mittlerweile erwarte ich schon hinter jedem Haus oder jeder Ecke eine neue skurille Skulptur.

Wisst ihr noch als ich vor einigen Wochen das Kafkamuseum besuchte? Gleichzeitig machte ich eine unerwartete Entdeckung. Schnell war mir klar, wer für diesen Scherz verantwortlich war. Ich war durch Zufall auf "einen typischen Černy" gestoßen.

"Piss" vor dem grossen "K" am Kafkamuseum.

Im Innenhof des Kafkamuseums, direkt an der Moldau standen sich zwei bereits oxidierte männliche Kupferfiguren gegenüber, die sichtlich entzückt und stolz in ein etwas merkwürdig geformtes Becken urinierten. Bei genauerem Hinsehen stellt man schnell fest, dass der gute Černy hier einen kleinen politischen Streich gespielt hat, als er die Kupferfiguren in ein Becken, mit den Umrissen der Tschechischen Republik "pissen" ließ.

Ein weiteres kleines Schmankerl habe ich erst realisiert, als ich mit meinen Recherchen zum Künstler für den Blog begonnen habe. Es ist anscheinend möglich eine Sms mit einer beliebigen Nachricht an eine bestimmte Nummer (die wohl irgendwo um das Kunstwerk herum zu finden ist) zu senden und einige Sekunden später dann dabei zuzusehen, wie die Kupferfiguren kunstvoll ebendiese in das Wasser "zeichnen". Diesen Spaß werde ich mir natürlich nicht entgehen lassen und hoffe darauf, dass mein nächster Besuch nun auch neugierig geworden ist?



Černy erregte übrigens bereits 1991 das erste Mal Aufsehen, als er verhaftet wurde, weil er einen sowjetischen Panzer pink einfärbte und somit viele Politiker der Lächerlichkeit preis gab.

Hiermit starte ich also nun meine Černy-Reihe und hoffe ihr habt genauso viel Spaß wie auch ich an den Kunstwerken des so umstrittenen Künstlers.


Viele Touristen versammeln sich täglich vor Černys Installation.

Ksenia

Metropolis vom 4. Juli 2009 (Arte)
http://www.art-magazin.de/kunst/14239/entropa_david_cerny
http://www.art-magazin.de/kunst/14239/entropa_david_cerny
http://www.theguardian.com/travel/2012/aug/10/david-cerny-sculpture-walk-prague-city-break 
http://www.eatingpraguetours.com/blog/david-cerny-prague/
 

Montag, 12. Oktober 2015

Ein verrückter Tag in Prag

Ich weiß wirklich nicht, wo ich anfangen soll zu erzählen. Wirklich. Immer noch bin ich vollkommen perplex. WAS FÜR EIN TAG.

Aber mal ganz von vorne. 

Meine Mitbewohnerin und ich wollten am Samstag Abend eigentlich nur in eine Bar in der Altstadt Prag, um einige Leute zu treffen. Wir nahmen die Tram, um an der Station "Jindřišská" auszusteigen und dann noch ein Stück zu laufen.

Wir stiegen aus und ich fragte meine Mitbewohnerin: "Oh mein Gott. Siehst du das?"

Ich dachte ich sehe nicht richtig, aber als wir näher kamen, erkannte ich blitzartig, dass ich genau richtig gesehen hatte.




Hakenkreuze. Soweit das Auge reicht. Keine aufgesprayten oder gekrakelten. Hakenkreuze auf roten Flaggen, auf metallenen Tafeln, auf den Seitenwänden der Bushaltestellen. Mein erste Gedanke war die Frage, was zum Teufel hier vor sich geht.

Wir näherten uns einer kleinen Menschentraube und ich bekam schnell die Antwort auf meine Frage. Es wurde hier gerade ein Filmset vorbereitet, antwortete mir ein Mann, der gerade dort arbeitete. Sonntag, so sagte er, fänden hier Dreharbeiten für einen Film statt.

Ich schaut mich nun etwas genauer um und entdeckte jetzt auch die mit "Am Graben" überdeckten Strassenschilder., eine alte Litfasssäule, Plakate, die "Die Juden sind unser Unglück" oder "Jude raus" titelten.



Ich beschloss schnell, dass ich am Sonntag unbedingt herkommen und die Dreharbeiten miterleben musste.


Gesagt. Getan. Direkt nach dem Frühstück machte ich mich auf den Weg. Ich stieg in dieselbe Tram, wunderte mich aber schnell, dass sie einen anderen Weg fuhr als gestern. Klar. Das hätte ich mir denken können. Die Tram fuhr aufgrund des aufgebauten Filmsets eine Umleitung, wie mir ein junger Tscheche freundlicherweise die Durchsage des Schaffners übersetzte.

Wir beide stiegen aus. Ich fragte ihn, nach dem Fußweg zur Jindřišská, also zu den Dreharbeiten und er sagte er wolle ebenfalls dort zusehen und fragte lächelnd, ob ich denn die "Zeichen" auch mag. Erst hab ich gedacht ich habe ihn nicht richtig verstanden. Aber er meinte die Hakenkreuze und ich machte ihm natürlich sofort klar, dass ich absolute Gegnerin bin und aus Deutschland komme, historisch daran interessiert bin und Geschichte studiere.

Er antwortete mit nun etwas ernsthafterer Miene: "Oh.". Schnell wurde mir klar, dass hier irgendwas nicht stimmt. Er offenbarte mir sogleich, nach einigen Fragen meinerseits, dass er glaubt, dass es auch "viele gute Seiten" am Nationalsozialismus gab und gibt und dass er nicht an die "Holocaust-Geschichte" glaube.

Ich fiel wirklich aus allen Wolken. Das passiert gerade wirklich? In Prag? 2015?

Im Affekt wusste ich mir nicht anders zu helfen. Ich fing lauthals an, mit ihm zu diskutíeren. Ob er das ernst meine, erklärte ihm, dass der Holocaust das am besten erforschte zeitgeschichtliche Geschehen sei. Darauf antwortete er nur "Die Geschichte wird von den Gewinnern geschrieben." Er konterte mit einigen Personen, die die Opferzahlen und die Einmaligkeig des Holocaust leugnen und verharmlosen. Ich versuchte ihm zu erklären, dass diese Schriften pseudowissenschaftlich seien und von Historikern auf der ganzen Welt widerlegt werden können. Doch er ließ sich nicht abbringen.

Die Passanten schauten mich wirklich verdutzt an, weil ich so laut und verzweifelt versuchte, diesen jungen Tschechen, wie er sagte 21 Jahre alt, wachzurütteln. Er hielt an seiner Meinung, meiner Meinung nach einer klassischen Verschwötungstheorie, fest.

Als ich merkte, dass es nichts mehr bringt, wünschte ich ihm einen Tag, an dem er hoffentlich genauso darüber nachdenken würde wie ich und zog weiter Richtung Filmset, völlig mitgenommen von dem, was mir gerade geschehen ist. Ich sah ihn dort übrigens nicht mehr wieder.





Ich kam an und es bot sich mir ein unfassbares Bild. Mindestens hundert Statisten. Darunter als deutsche Soldaten oder Zivilisten verkleidete Menschen. Männer mit Gewehren und Hakenkreuzabzeichen und Frauen mit Haarwellen und Kleidern aus den 30er Jahren ausgestattet, warteten auf ihren "Einsatz".


Es wurde gerade eine kleine Filmszene in einer Telefonbude gedreht. Ich sah einen Mann, der interviewt wurde und wusste sofort: Der weiss mehr.
Ich überwand mich und sprach ihn an. Es war einer der Produzenten des Films. Steve Lichtag. Er erzählte mir, dass heute bereits der 25. Drehtag des in Wien und China spielenden Film "The last Visa" sei. Es gehe um die wahre Geschichte des chinesischen Botschafters Ho Feng Shan in Wien, bekannt als "Schindler Chinas", der während des Zweiten Weltkrieges tausende Juden vor den Deportationen rettete, indem er die für die Ausreise der Juden gebrauchten Visa besorgte.

2001 wurde er vier Jahre nach seinem Tod posthum als "Gerechter unter der Völkern" im Holocaustmuseum Yad Vashem in Jerusalem geehrt.

Die Premiere des Films, so der Produzent, findet Ende des nächsten Jahres in Peking statt.


Der Produzent Steve Lichtag im Interview.
Der Hauptdarsteller spielt Ho Feng Shan, den "Schindler Chinas".


An diesem Tag lernte ich sehr viele Leute kennen. Ich unterhielt mich mit einigen Leuten, die ich nach ihren Eindrücken fragte und nahezu alle waren ebenso erstaunt wie ich. Ein Mann aus Spanien, mit einer Kippa in der Hand, erzählte mir, dass er gerade noch in der Maisel-Synagoge gewesen war und total erschrak, als er die Hakenkreuze sah. Durchweg waren aber auch die meisten Touristen begeistert an ein solch aufwendig gestaltetes Filmset geraten zu sein.

Es war unheimlich kalt, auch wenn die Sonne schien und man merkte den Statisten, die auch noch durch künstlich erzeugten Regen laufen mussten, an, dass sie froren, vor allem, weil sie solange warten mussten. Schliesslich sollten sie sich für eine besondere Szene mit Hakenkreuzfahnen ausgestattet, an ein Bahngleis stellen und den marschierenden Soldaten und einem vorwegfahrenden Wagen mit einer wunderschönen Frau zujubeln.


Für mich war es ganz besonders, auch mal zu sehen, wie ein Film gedreht wird und wie viel Arbeit und Anstrengung dahinter steckt. Alle Beteiligten, und es waren sehr sehr viele, waren hochkonzentriert und äusserst professionell.



Als sich die Dreharbeiten dem Ende zuneigten, lief ich mit eiskalten Händen und einigen Geschehnissen zum Nachdenken Richtung Metro und fuhr nach Hause.

Was für ein Tag.

Ksenia.



http://www.yadvashem.org/yv/en/righteous/stories/ho.asp
http://twinstarfilm.com/web/category/films/steve-lichtag/



Montag, 5. Oktober 2015

Das Geburtshaus Kafkas

Gestern führte mich ein kleiner Spaziergang über den Altstädter Ring - also wenn man so will das heutige  "Herz" Prags, an der St. Nikolaus Kirche vorbei direkt zum Geburtshaus Franz Kafkas am Náměstí Franze Kafky 27, dem Franz-Kafka-Platz.





Hier wurde Franz Kafka am 3. Juli 1883 als Sohn Hermann Kafkas (1852-1931) und seiner Frau Julie Kafka, geborene Löwy (1856-1934) geboren. Die jüdischen Eltern besaßen ein Galanterie-Geschäft, also ein Geschäft für Accessoires und Feinwäsche.

"In diesem kleinen Kreis ist mein ganzes Leben eingeschlossen."

Das damals noch existierende Ghetto, welches erst 1895 saniert wurde, verließ Kafka nur äußerst selten und musste mit seiner Familie zu dieser Zeit, seiner frühen Kindheit, in bescheidenen Verhältnissen leben. Franz Kafka war der einzige Sohn der Familie, neben den drei Schwestern Elli, Valli und Ottla. Er wird meist als ängstliches und ernshaftes Kind charakterisiert. Dies kann man auf die Erziehung Kafkas, vor allem die durch Köchinnen und Kindermädchen sowie auf die Abwesenheit der Eltern zurückführen.

Während Hermann Kafka in seinem Galanterie-Geschäft zu tun hatte, war ihm Julie Kafka seine "rechte Hand". Und so drang die Erziehung durch  die Eltern allein beim Essen durch. Die Befehle bei Tisch vor allem von seinem Vater waren für das sensible Kind oft rätselhaft und so schreibt Kafka in seinem berühmten "Brief an den Vater":

"Du kannst ein Kind nur so behandeln, wie Du eben selbst geschaffen bist, mit Kraft, Lärm und Jähzorn und in diesem Falle schien Dir das auch noch überdies deshalb sehr gut geeignet, weil Du einen kräftigen, mutigen Jungen in mir aufziehen wolltest."

Mit nur 11 Jahren riet Kafka, traumatisiert durch die eigenen Erfahrungen seiner Kindheit, seiner Schwester Elli ihren Sohn in einem Internat aufziehen zu lassen. Er ermahnt sie in einem Brief:

"[...] und so fängt er an, es ihm einzuhämmern, was ihm auch gelingt, aber gleichzeitig mißlingt, denn er zerhämmert dabei das Kind [...] er sieht in dem Kind nur das Geliebte, er hängt sich an das Geliebte, er erniedrigt sich zu seinem Sklaven, er verzehrt es aus Liebe."

Das so hohe Ideal des Vaters blieb für Kafka lebenslänglich ein in ihm stark verankertes, erstrebenswertes Musterbild eines starken Mannes. Er bewunderte die ausgestrahlte Stärke von Freunden sowie Vorgesetzten, die er selber niemals erreichen konnte. Auf der anderen Seite blieb ihm die strikte Erziehung der Eltern und das Aufwachsen in einer für ihn völlig unverständlichen Umgebung, die immer stärker von starken Auseinandersetzungen zwischen Tschechen und Deutschen geprägt wurde, ein immenses Unverständnis, weswegen er sich zunehmend in seine eigens erschaffene Realtität, sein Schreiben, flüchtete.





Bereits seit 1965 schmückt das Geburtshaus eine Gedenktafel, mit einer Büste Franz Kafkas. Spannend ist, dass  keine Fotografie erhalten geblieben ist, die Franz Kafkas Profil zeigt. Da Kafka aber nach Zeugenaussagen dem Enkel seiner Schwester sehr ähnelte, orientierte man sich an dessen Profil. Seit Mai 2000 trägt die Strasse, in der das Geburtshaus steht, den Namen ihres wohl berühmtesten Bewohners, wenn auch die Familie bereits zwei Jahre nach der Geburt Franz Kafkas umzog.



"Zde se 3.7.1883 narodil Franz Kafka" - "Hier ist am 3.7.1883 Franz Kafka geboren."


Ksenia

Wagenbach, K.: Kafka. Hamburg 1964.
http://www.kafkaesk.de/