Montag, 5. Oktober 2015

Das Geburtshaus Kafkas

Gestern führte mich ein kleiner Spaziergang über den Altstädter Ring - also wenn man so will das heutige  "Herz" Prags, an der St. Nikolaus Kirche vorbei direkt zum Geburtshaus Franz Kafkas am Náměstí Franze Kafky 27, dem Franz-Kafka-Platz.





Hier wurde Franz Kafka am 3. Juli 1883 als Sohn Hermann Kafkas (1852-1931) und seiner Frau Julie Kafka, geborene Löwy (1856-1934) geboren. Die jüdischen Eltern besaßen ein Galanterie-Geschäft, also ein Geschäft für Accessoires und Feinwäsche.

"In diesem kleinen Kreis ist mein ganzes Leben eingeschlossen."

Das damals noch existierende Ghetto, welches erst 1895 saniert wurde, verließ Kafka nur äußerst selten und musste mit seiner Familie zu dieser Zeit, seiner frühen Kindheit, in bescheidenen Verhältnissen leben. Franz Kafka war der einzige Sohn der Familie, neben den drei Schwestern Elli, Valli und Ottla. Er wird meist als ängstliches und ernshaftes Kind charakterisiert. Dies kann man auf die Erziehung Kafkas, vor allem die durch Köchinnen und Kindermädchen sowie auf die Abwesenheit der Eltern zurückführen.

Während Hermann Kafka in seinem Galanterie-Geschäft zu tun hatte, war ihm Julie Kafka seine "rechte Hand". Und so drang die Erziehung durch  die Eltern allein beim Essen durch. Die Befehle bei Tisch vor allem von seinem Vater waren für das sensible Kind oft rätselhaft und so schreibt Kafka in seinem berühmten "Brief an den Vater":

"Du kannst ein Kind nur so behandeln, wie Du eben selbst geschaffen bist, mit Kraft, Lärm und Jähzorn und in diesem Falle schien Dir das auch noch überdies deshalb sehr gut geeignet, weil Du einen kräftigen, mutigen Jungen in mir aufziehen wolltest."

Mit nur 11 Jahren riet Kafka, traumatisiert durch die eigenen Erfahrungen seiner Kindheit, seiner Schwester Elli ihren Sohn in einem Internat aufziehen zu lassen. Er ermahnt sie in einem Brief:

"[...] und so fängt er an, es ihm einzuhämmern, was ihm auch gelingt, aber gleichzeitig mißlingt, denn er zerhämmert dabei das Kind [...] er sieht in dem Kind nur das Geliebte, er hängt sich an das Geliebte, er erniedrigt sich zu seinem Sklaven, er verzehrt es aus Liebe."

Das so hohe Ideal des Vaters blieb für Kafka lebenslänglich ein in ihm stark verankertes, erstrebenswertes Musterbild eines starken Mannes. Er bewunderte die ausgestrahlte Stärke von Freunden sowie Vorgesetzten, die er selber niemals erreichen konnte. Auf der anderen Seite blieb ihm die strikte Erziehung der Eltern und das Aufwachsen in einer für ihn völlig unverständlichen Umgebung, die immer stärker von starken Auseinandersetzungen zwischen Tschechen und Deutschen geprägt wurde, ein immenses Unverständnis, weswegen er sich zunehmend in seine eigens erschaffene Realtität, sein Schreiben, flüchtete.





Bereits seit 1965 schmückt das Geburtshaus eine Gedenktafel, mit einer Büste Franz Kafkas. Spannend ist, dass  keine Fotografie erhalten geblieben ist, die Franz Kafkas Profil zeigt. Da Kafka aber nach Zeugenaussagen dem Enkel seiner Schwester sehr ähnelte, orientierte man sich an dessen Profil. Seit Mai 2000 trägt die Strasse, in der das Geburtshaus steht, den Namen ihres wohl berühmtesten Bewohners, wenn auch die Familie bereits zwei Jahre nach der Geburt Franz Kafkas umzog.



"Zde se 3.7.1883 narodil Franz Kafka" - "Hier ist am 3.7.1883 Franz Kafka geboren."


Ksenia

Wagenbach, K.: Kafka. Hamburg 1964.
http://www.kafkaesk.de/

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen